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Politik probieren: Maurizi, Marxismus und Tierbefreiung

In dieser Rubrik probiere ich, Nina, Politik - das heisst, ich schaue mir jeweils ein bestimmtes, politisches Thema an und probiere es zu erklären.




Heute geht es um Tierbefreiung und Marxismus - ein Thema, mit dem wir uns im Tierrechtsradio ja auch schon auseinandergesetzt haben. Eine unserer ersten Sendungen hiess “Tierrechte und Revolution”, da haben wir mit Dave von der Tierrechtsgruppe Zürich und Salome von der Kommunistischen Jugend gesprochen. Mit Dave haben wir uns später nochmal getroffen, als es um die Strategien der Fleischindustrie ging - beide Folgen könnt ihr übrigens auch auf Soundcloud nachhören. Also bei Tierrechtsradio Schweiz:)


Es geht also wieder um Marxismus und Tierbefreiung, dieses Mal anlässlich eines Podcasts / Interviews mit Marco-Maurizi. Marco Maurizi ist ein italienischer Philosoph, Autor, Musiker und “Influencer” der marxistischen Tierbefreiungs-Bewegung. U.a. mit seiner “Kritik des metaphysischen Anti-Speziesismus” hat er viel Sympathie in der Szene geerntet, und so gerade auch das “Bündnis Marxismus und Tierbefreiung” in Ihrer Arbeit inspiriert.


Zum Einstieg hören wir gleich einen Auszug aus dem Interview mit Marco Maurizi, aus dem Podcast “Bündnis und Marxismus und Tierbefreiung - Der Podcast”:


“As a child, I really loved animals. I really cared for them. And I even figured out that I could be a vegetarian and that was (when I was) around six or seven years old. But this is not important. This is not what matters. It's not the reason why I write in defense of animals now.

First of all, because as a child, I could be cruel to animals. I did horrible things, even when I loved them. And I believe that I loved them. And I think this is important for adults too, because every time we ask people to care for animals, the question is, when is that too much or is it not enough? How can you judge when empathy or feelings are irrational? You just can't find a way to base your philosophy or your politics on feelings.”


Wie kam also Marco Maurizi zur marxistischen Tierbefreiung? Er liebte zwar Tiere schon als Kind, erzählt er, aber das ist nicht der Grund, wieso er heute für deren Befreiung schreibt. Denn selbst wenn er sie liebte, konnte er grausam zu ihnen sein - und dieses Gefühl kennen alle, die sich als “tierlieb” bezeichnen und schon einmal Fleisch gegessen haben.


Wir wollen uns alle heute mit der Frage beschäftigen, wie wichtig Gefühle für den Aktivismus sind - und ob sie diesem u.U. auch im Weg stehen können. “Wie sollen denn einem denn so schöne Gefühle wie Liebe und Empathie im Weg stehen?”, denkt ihr vielleicht. Nun, es ist kompliziert - aber wir wollen es mal probieren :)


Maurizi meint, bei der Tierbefreiungs-Philosophie gehe es eben nicht um Liebe oder um Empathie, sondern um Solidarität. Man könnte auch sagen, um “Gerechtigkeit” - so wie es zum Beispiel Peter Singer getan hat - aber diesen Begriff verwenden Marxist:innen nur ungern, weil es ein formeller, abstrakter Begriff ist. Abstraktes verträgt sich nicht gut mit dem Materialismus, der im Marxismus sehr wichtig ist - darauf kommen wir später noch zu sprechen. Aber zurück zur Frage: Wieso sollte es im Aktivismus nicht um Gefühle gehen?


Nun, ganz einfach: Gefühle sind immer irrational, und somit keine gute Basis für eine Philosophie. Was irrational ist, hält den Gesetzen der Logik nicht stand, egal, wie gut und richtig es sich anfühlt. So kann ich z.B. meinen Hund über alles lieben - ohne zu lügen! - und trotzdem Fleisch essen, also inkonsequent sein, was die Tierliebe betrifft. Das geht - auch wenn wir Veganer:innen es gerne verurteilen - das ist sogar “normal”. Und gerade weil das geht, und weil es so menschlich ist, in seinen Gefühlen inkonsequent zu sein, sind diese eben keine gute Grundlage für einen politischen Kampf, sagt Marco Maurizi.


Bei Solidarität hingegen ist das anders. Solidarität meint, sich an den Prinzipien Gleichheit und Respekt orientieren - und diese Prinzipien gelten unabhängig unserer persönlichen Gefühle. Als Hundebesitzerin liebe ich meinen Hund, den einen - über alles - bin aber nicht mit allen Tieren solidarisch, wenn ich trotzdem Fleisch konsumiere. In der Konsequenz ist es auch nicht die Liebe, die mir “fehlt”, sondern eben die Solidarität. Und diese folgt keinem Gefühl, sondern einer ganz einfachen Logik: Man soll keine Macht über die Schwächeren ausüben, weder auf Menschen noch auf Tiere. Das ist ein Grundgedanke der marxistischen Tierbefreiung.

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Es war also der Marxismus, der er Maurizi lehrte, seine Ideen auf objektive Art und Weise zu formulieren. Doch wieso ist ihm dieser objektive Ansatz so wichtig?


Yes, because, when you talk about animal liberation with animal rights activists, you often talk about morals, morality, ethics, and there's always a subjective, individual side involved. And I call this methodological individualism: You believe that society is made up of individuals, but there are social structures. There is something that goes beyond what individuals do and think. It is, as a matter of fact, the condition for what they do and what they think. Okay. And this is the objective level that I think it is important to stress, to understand. And, of course it's the object of any political practice. You change institutions, you change the economy, you change the social structures.


Wenn man mit Tierrechtsaktivist:innen spreche, meint Maurizi, gehe es sehr oft um Moral, um Ethik - und da ist eben immer auch eine individuelle, subjektive Perspektive. Was dahinter steht, bezeichnet er als “methodologischen Individualismus”; den Gedanken, dass die Gesellschaft nur aus Individuen besteht (die aus eigenem Ermessen handeln). Viele von uns machen z.B. Vegan Outreach in der Überzeugung, dass nur genug Leute vegan werden müssen, um damit die Welt zu verändern. Aber so einfach ist das nicht.


Gemäss Maurizi (und Marx) besteht die Gesellschaft eben nicht nur aus den einzelnen Individuen, sondern auch - und v.a. - aus den sozialen Strukturen. Was wir als Individuen denken und tun, liegt eben nicht nur in unserem eigenen Ermessen, sondern wir sind alle auch “Produkte” der gesellschaftlichen Strukturen, in denen wir leben. So lehrt uns der Kapitalismus z.B. seit Jahrhunderten, dass es um Profit geht, um Wettbewerb - dass wir “besser” sein müssen als andere, “mächtiger” als die Natur - und somit auch den Tieren überlegen. Der Gedanke, dass diese da sind um von uns “genutzt” zu werden, ist also ein uralter - und er kommt nicht aus mangelnder Empathie, sondern wir sind dazu “konditioniert” worden, so zu denken - eben vom Kapitalismus, bzw. den sozialen Strukturen.


Ein Zitat von Marco Maurizi, welches diesen Gedanken veranschaulicht, ist das Folgende: „Wir beuten Tiere nicht aus, weil wir sie für niedriger halten, sondern wir halten Tiere für niedriger, weil wir sie ausbeuten.“ In diesen Kontext können wir zwar auf die Straße gehen und versuchen, einzelne Leute zum Veganismus zu “bekehren”, aber es wird die Welt nicht verändern - weil wir damit nichts an den Strukturen ändern, die erst zum Speziesismus (also diesem Gefühl von Überlegenheit) geführt haben.


“And this is what I call animal liberation ideology: From one side, systemic violence against animals is conceived as a consequence of individual indifference, prejudice or bad will. And, from the other side, and this is a consequence, all those who fight for animal liberation believe they have a moral superiority certified by some kind of lifestyle. And they believe social change takes place when you convince other people to change their lifestyle. So, everything is reduced to this subjective individual point of view. And I think one of the contribution I try to make in my book is to understand speciesism, not as an individual inclination, a moral prejudice, but as an objective phenomenon, a system of exploitation rather than discrimination.”


Gemäss Marco Mauro ist man in der “unpolitischen” Tierrechtsbewegung der Meinung, dass wir als Gesellschaft Tiere ausbeuten, weil sie uns egal sind oder weil wir Vorurteile gegen sie haben. Daraus resultiert für ihn wiederum ein “Gefühl der Überlegenheit”, nur diesmal nicht den Tieren, sondern den Mitmenschen gegenüber. Das hört sich krass an, aber man kann es auch anders beschreiben: Wer hat als Veganerin oder Tierrechtsaktivistin nicht auch schon eine gewisse Wut den Omnivoren gegenüber gespürt? Dass sie so “gedankenlos” Fleisch und tierische Produkte konsumieren und damit das Leid der Tiere in Kauf nehmen? Vielleicht habt ihr euch auch schon gefragt: “Wieso checken sie es einfach nicht?”.


Das meint Maurizi mit “moralischer Überlegenheit”, und er findet es kontraproduktiv - weil jemand, der sich für moralisch überlegen hält, keine (oder nur wenig) Solidarität empfinden kann. Und wir müssen eben nicht nur mit den Tieren solidarisch sein, wenn wir das System verändern wollen - sondern auch mit unseren Mitmenschen, egal ob sie Fleisch essen oder nicht. Darum plädiert Maurizi dafür, den Speziesismus nicht als ein System der persönlichen Diskriminierung, sondern als ein System der strukturellen Ausbeutung zu betrachten. Und folglich muss auch der Anti-Speziesismus der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung kein individueller (metaphysischer), sondern ein “historisch-materialistischer” sein.


….


Nun wollten wir ja noch drauf eingehen, was der Materialismus eigentlich ist - und inwiefern der historisch sein muss - oder nicht, gemäss Anarchist:innen:) - Aber die Zeit ist uns leider ausgegangen. Da es sowieso noch sehr viel zu besprechen gibt, was das ITV mit Marco Maurizi, gibt es nächsten Monat nochmal eine Rubrik zu dem Thema.


Bis dann könnt ihr euch ja einmal den Podcast vom Bündnis Marxismus und Tierbefreiung anhören, es gibt ihn auf Spotify oder auch auf der Webseite vom Bündnis unter mutb.org. Ich selber habe leider nach der ersten Viertelstunde nicht mehr viel verstanden, weil es da sehr theoretisch wird, aber wir geben nicht auf und probieren auch beim nächsten Mal wieder, dahinter zu kommen ;)


Wie steht ihr eigentlich zur Frage, ob im Aktivismus zu viel Wert auf Gefühle gelegt wird? Findet ihr das “veganisieren” von unseren Mitmenschen zielführend, wenn damit nichts an den strukturellen Ursachen der Tierausbeutung verändert wird?


Ich bin gespannt auf euer Feedback; schreibt mir wenn ihr Bock habt eine Mail auf tierrechtsradio@gmail.com oder kommentiert bei uns auf Youtube und FB.

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