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Von Untoten und anderen Konflikten


Wer die TV-Serie «Game of Thrones» gesehen hat, wird sich sicher das eine oder andere Mal geärgert haben über die Unfähigkeit der Menschen, selbst in Zeiten grösster Not zusammenzuarbeiten: Während vom Norden her eine Horde Untoter droht, über die Menschen herzufallen und ihre Existenz zu beenden, bekämpfen sich die verschiedenen Adelshäuser lieber gegenseitig, anstatt zusammenzuarbeiten. Den gleichen Eindruck mag man auch haben, wenn man sich die Tierrechtsbewegung ansieht, vor allem in der Schweiz: Während einige Vereine und Organisationen zusammenarbeiten, ignorieren andere sich bestenfalls gegenseitig, oder legen einander gar Hindernisse in den Weg. Wenn es nach der Meinung mancher ginge, sollten wir all diese Grabenkämpfe doch endlich beenden, und gemeinsam für Die Sache™ kämpfen. Und ganz Unrecht haben sie ja nicht: Nicht nur geht das Schlachten unaufhörlich weiter, und fordert jährlich die Leben von 70 Milliarden empfindsamen Landwirbeltieren (Meerestiere noch gar nicht mitgezählt!), während sich die Aktivist*innen mancher Organisationen uneinig sind, welches denn nun «die eine richtige» Form des Aktivismus ist. Darüber hinaus ist der Klimawandel eine der grössten Herausforderungen – um nicht zu sagen: Bedrohungen – der Menschheit, wie wir sie heute kennen. Weniger als 12 Jahre haben wir laut aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnissen noch Zeit, um unsere Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren und das Schlimmste zu verhindern. Und während die «Systemfrage» in den Augen mancher noch zur Debatte steht, ist unwiderlegbar klar, dass die tierische Landwirtschaft mit 18% der globalen Treibhausgasemissionen einen genauso grossen Beitrag zum Klimawandel leistet wie der gesamte Verkehrssektor. Eins steht also fest: Wir müssen die grausame und schädliche Tierindustrie schnellstmöglich stoppen. Nicht nur für uns. Vor allem für die Tiere.

Hauptsache für die Tiere?

Hier kommt das Problem: Die Unterdrückung nichtmenschlicher Tiere ist nicht die einzige Form der menschengemachten Unterdrückung. Noch immer werden Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Religion, Hautfarbe oder Herkunft, oder aufgrund von sonstigen Merkmalen diskriminiert. Teils mit tödlichen Folgen. Wer anerkennt, dass die Ausbeutung empfindsamer Lebewesen aufgrund ihrer Spezies unethisch ist, müsste folgerichtig auch anerkennen, dass die Ausbeutung aufgrund der eben genannten Merkmale völlig willkürlich und daher ebenfalls unethisch ist. Leider kann man immer wieder beobachten, wie sich manche Personen und Organisationen eines Sprachgebrauchs bedienen, der genau diese verschiedenen Unterdrückungsformen fördert. Und kritisiert man diese Dinge - zu Recht! - muss man leider feststellen, dass diese Handlungen entweder toleriert oder akzeptiert werden, oder einem wird sogar unterstellt, man würde «die Szene spalten» oder «Infighting betreiben». Dabei sollten wir doch alle zusammenhalten. Hauptsache für die Tiere eben.

Es würde zu lange dauern, all die Probleme zu schildern, die mit dieser Haltung einhergehen. Klar ist nicht nur, dass in einer Befreiungsbewegung kein Platz für andere Unterdrückungsformen sein sollte, sondern auch, dass ein isolierter Aktivismus für nichtmenschliche Tiere das Problem nicht an der Wurzel packt. Einige sehen das bereits ein, und gehen vehement gegen «Hauptsache für die Tiere» vor. Nicht, um den Fokus von den Tieren abzulenken, denn Tiere haben ihre eigene Befreiungsbewegung mehr als verdient, sondern um Menschen anderer unterdrückter Gruppen zu inkludieren, und ihnen nicht das Gefühl zu geben, Veganer*innen lieben Tiere, hassen dafür aber (bestimmte) Menschen. Aber hier kommt das andere Problem: Manche gehen bei ihrem Versuch, «Hauptsache für die Tiere» zu unterbinden, so unkonstruktiv und aggressiv vor, dass sich Fronten erst recht noch verhärten. Und zwar durch die Förderung einer «Call Out Culture».

Call Outs sind nicht per sé schlecht. Richten sich Call Outs gegen Unternehmen, die sich weigern, Umwelt- oder Menschenrechtsstandards einzuhalten, kann dies einen Shitstorm auslösen, der mit verhältnismässig wenig Aufwand verdammt viel Veränderung mit sich bringen kann. Und kann ein Typ es nicht lassen, Frauen über soziale Medien zu belästigen, kann ein unzensierter Screenshot das einzige Mittel sein, ihn davon abzubringen. Problematisch werden Call Outs dann, wenn sie

1. das erste statt das letzte Mittel sind

2. bei mangelnder Informationslage und mit viel (Über)Interpretation angewendet werden

3. immer das Schlimmste vermutet wird, anstatt dass man sich besser informiert

4. in böser Absicht angewendet werden.

Was vermutlich alle von uns wissen (wenn nicht durch Game of Thrones, dann vielleicht durch die Schulzeit), ist, dass sich Gerüchte meist schneller verbreiten als die Wahrheit. Ein unberechtigter Call Out, der auf falschen Informationen beruht, und möglicherweise noch darauf ausgelegt ist, eine Person gezielt anzugreifen, kann grossen Schaden verursachen. Er kann Menschen von der Bewegung ausstossen, sie in tiefe Depressionen stürzen, und Laufbahnen ruinieren. Vor allem aber kann er Fronten verhärten: Wer Angst hat, seine Gedanken öffentlich auszusprechen, tut dies nun lieber unter seinesgleichen, wo man sich gegenseitig bestätigt fühlt. Aus Kommunikation wird Konkurrenz, statt Konsens bilden sich Konflikte. Das kann nicht das Ziel sein. Um «Hauptsache für die Tiere» zu beenden, brauchen wir eine Kultur der Kommunikation. Eine Call In Culture.

Du möchtest mehr dazu hören und mitdiskutieren? Am Freitagabend den 29. November findet zu diesen Themen ein Vortrag mit anschliessender Diskussionsrunde in Zürich statt. Alle Informationen findest du entweder auf Facebook:

… oder auf der Homepage der Stadt Zürich:


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